Ein langsam wirkendes Gift - STRESS
Einst war er der Adrenalinstoß lebensrettend - nun macht er uns krank
Eine Notreaktion, für den
Menschen einst lebensrettend, hat sich gegen ihn gewendet: Stress ist in der
modernen Gesellschaft allgegenwärtig und macht krank.
Entwicklungsgeschichtlich ist es nur ein Katzensprung zurück zu jenem Urzeit-Jäger, für den der biologische Stress-Mechanismus überlebenswichtig war. Der Mann sitzt am Waldrand um sich auszuruhen. Plötzlich knackt es im Gebüsch und er sieht einen Säbelzahntiger auf sich zukommen.
Was dann folgt ist eine
automatisch ablaufende Kaskade von Reaktionen: Sie dient der Bereitstellung
immenser Kräfte zur Beantwortung der Gefahr – sei es mit dem auf dem Boden
liegenden Knüppel (Attacke) oder mit einem gewaltigen Satz auf den nächsten
Baum (Reißaus).
Stress war einmal überlebenswichtig
Die Nebennieren schießen
Adrenalin ins Blut, der Sympathikusnerv steigert seine Tätigkeit, Puls,
Blutdruck und Atemfrequenz steigen, in Muskeln und Gehirn werden Energien
freigesetzt. Es folgt eine blitzartige Mobilmachung aller Reserven im Körper.
Gleichzeitig wird Unwichtiges gedrosselt: Verdauung, Fortpflanzung, Abwehr von
Infektionen – jetzt alles Nebensache. Die Hauptsache: überleben.
Diese Stress-Maschinerie, darauf ausgerichtet, den in Bedrängnis geratenen Homo
sapiens über die nächsten zehn Minuten hinweg zu retten ist fest im Gehirn
verdrahtet – in jenen Tiefenregionen, die auch solche Urfunktionen wie Hunger,
Aggression und Immunabwehr kontrollieren.
Doch wendet sich das ehedem rettende Erbe des Menschen nicht selten gegen ihn
selbst. Haargenau die gleiche Stress-Kaskade, mit welcher er einst
lebensbedrohliche Situationen meisterte, tritt nun in Aktion bei so ziemlich
allem, was ihm die zivilisierte Welt an Unannehmlichkeiten zumutet: die nahende
Steuerprüfung, das Schreiben eines gegnerischen Anwalts, lärmende Nachbarn,
die Jagd nach der letzten U-Bahn und vor allem als Antwort auf den mehr oder
minder kleinen stetigen Ärger im Beruf.
Stress macht anfällig
Chronischer Stress ist wie
ein langsam wirkendes Gift, durch einen erst in den letzten Jahren entdeckten
Prozess, der "Sensitivierung", schaukelt sich das Signalsystem im Körper
unbemerkt weiter auf. Während sich der Gestresste selbst noch darüber hinwegtäuscht,
reagiert der Organismus immer heftiger, die Reizschwelle sinkt. So etwa wie bei
einem Allergiker, der schließlich schon auf das kleinste umherfliegende
Pollenkorn anspricht.
Einer Lawine gleich nehmen dann die hormonellen Veränderungen zu. Vor allem die
beiden Stress-Hormone Adrenalin und Kortisol bringen den Körper durcheinander.
Der antwortet auf den täglichen mikrokosmischen Kleinkrieg mit der Wucht eines
Programms, das eigentlich für lebensbedrohende Notfälle ausgelegt ist.
Das klassische Experiment, das die schädigende Wirkung des Stress-Hormons
Kortisol auf die Immunabwehr beweist, fand 1991 in Pittsburgh statt: 400
Freiwillige, deren unterschiedliche Stressbelastung mit einem Fragebogen
ausgewertet wurde, wurden mit einem Erkältungsvirus in Kontakt gebracht.
Ergebnis: 90 Prozent der akut Hochgestressten (gegenüber 74 Prozent der
Nichtgestressten) fingen sich den Schnupfen ein.
Das Experiment wurde 1998 wiederholt und verfeinert. Dabei zeigte sich, dass bei
den unter chronischem Stress Leidenden, die Wahrscheinlichkeit eines Versagens
der Immunabwehr um das drei- bis fünffache erhöht war. Die Verbindung von
Langzeit-Stress und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurde auch im Tierversuch bestätigt.
Was tun gegen Stress?
Leider gibt es kein
Allheilmittel aber folgende Punkte könnten für Stress-Geplagte schon Linderung
bringen:
Dampf ablassen (“mit der Faust auf den Tisch schlagen”, “mit dem Fuß
aufstampfen”),
positive Selbstgespräche (“wenn ich Fehler mache, ist das nicht so
schlimm”),
Zeitmanagement (“in der Früh richtig anfangen”, “durch nichts ablenken
lassen”),
nach innen geschaute Bilder (“schließen Sie die Augen und stellen Sie sich
vor: Sie sind auf einem einsamen Strand”),
auch im Auto laut schimpfen oder sich bei Freunden ausweinen kann eine
kurzfristige Erleichterung bringen.
Schön wäre es, wenn man in seinem täglichen Leben Stress weitgehend vermeiden
könnte. Wenngleich es wenig Hoffnung gibt, dass wir uns den meist
selbstauferlegten Verpflichtungen entziehen können.